Reden mit dem Bösen


Reiner Steinweg

Reden mit dem oder den Bösen?

Vortrag im Kepler-Salon Linz

am 2. 10.2017
Mündliche Version siehe https://dorftv.at/video/28028


Leicht überarbeitete Fassung der Notizen für den Vortrag:

Vorbemerkungen

A. Begrüßen von Christian Bartolf, Berlin, dem Gründer des internationalen Gandhi-Informationszentrums in Wien und Teilnehmer an der Südafrikanisch-Indischen Konferenz in New Delhi 2007, bei der die an die UN gerichtete Resolution verabschiedet wurde, den 2. Oktober, Gandhis Geburtstag, zum Internationalen Tag der Gewaltfreiheit auszurufen

B. Das gerade eröffnete Mahnmal für aktive Gewaltfreiheit vor dem Neuen Rathaus setzt den Akzent auf Dialog. Es gibt noch andere wesentliche Elemente der aktiven Gewaltfreiheit, aber die Bereitschaft zu einem in jeder Hinsicht gewalt- und aggressionsfreien, respektvollen Dialog verbunden mit der Bereitschaft zum Kompromiss, der die Selbstachtung und die eigene Existenz nicht im massiv gefährdet, ist zweifellos ein wesentlicher Bestandteil von Gandhis Botschaft, dessen Geburtstag heute weltweit als „Internationaler Tag der Gewaltfreiheit“ begangen wird.

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Mein Vortrag hat drei Teile:

1. Grundüberlegungen und Dilemmata

2. Zehn Thesen

3. Am Ende werde ich Schlussfolgerungen für einen umstrittenen Fall in Linz ziehen.



I. Grundüberlegungen und Dilemmata

1. Wer ist der Böse?

Für uns verkörpert sich das Böse derzeit im militanten Djihadismus und/oder – je nach Blickwinkel – im aggressiven, ausgrenzenden Nationalismus und/oder im neuen Autoritarismus. Für die militanten Islamisten ist der Westen oder die westliche Lebensform der Inbegriff des Bösen, gegen das vorzugehen kein Mittel zu schlecht sein kann.

Vor 1945-1989 war im Westen das Böse im Osten verkörpert, im gewaltsamen, unterdrückerischen Staatssozialismus. Für den Osten war es genau umgekehrt: Das Böse lag im ausbeuterischen, menschenverachtenden Kapitalismus und Imperialismus.

Letzteres wurde auch in Teilen der sog. Dritten Welt so gesehen: in Nordafrika, in Vietnam, in Nikaragua und in vielen anderen Ländern, in denen versucht wurde, die kapitalistische Gesellschaftsform mit aller Brutalität durchzusetzen.

Im ehemaligen britisch Indien wurde von erheblichen Teilen der Bevölkerung das Böse im Hinduismus oder umgekehrt im Islam gesehen. An diesem Dualismus ist Gandhi trotz vieler Einzelerfolge auch auf diesem Feld gescheitert. Die Kräfte der gegenseitigen Ausgrenzung waren stärker als diejenigen, die das Gute in gegenseitiger Toleranz und gegenseitigem Respekt identifizieren konnten.

Der moderne militärisch-militante Islamismus wurde von den USA in Afghanistan hochgepäppelt und als Verbündeter gegen die Sowjetunion eingesetzt – aus dem dann die Al Quaida hervorging.

Fast alle Ansätze für gegenseitiges Verstehen und Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern gingen zu Bruch, als einerseits nach den Osloer Verträgen in Israel die Devise ausgegeben wurde, so viele Hügel im besetzten Palästina israelisch zu besiedeln wie nur möglich und andererseits die Palästinenser im Unterschied zur ersten Intifada in der zweiten Intifada auf Gewalt setzten.

Wer war in all diesen Fällen jeweils „der“ Böse? Gründe für diese diametral entgegengesetzten Sichtweisen auf das Böse gab es in all diesen Fällen auf beiden Seiten genug.

Mit einigem historischem Abstand kann man sehen:

Immer gab es die Polarität zwischen Gut und Böse in Wirklichkeit auf beiden Seiten: Jede Seite hatte und hat ihre positiven und ihre abgründigen Schattenseiten. Gandhi wurde nicht von einem Moslem, sondern von einem Hindu ermordet, weil er für Versöhnung von Hindus und Moslems und ein Miteinander-Leben in gegenseitigem Respekt eintrat. Und es gibt im heutigen Indien Menschen und Kreise, die dem Mörder allen Ernstes ein Denkmal setzen möchten.

2. Dilemmata

Ein Dilemma, in dem wir uns befinden, besteht darin, dass diese Einsicht in die Relativität „des“ Guten uns nicht von der Aufgabe entbindet, das jeweils als „böse“ Identifizierte mit aller Kraft zu bekämpfen und das als gut erkannte zu stärken. Dadurch sind wir, wenn wir nicht selbstkritisch achtgeben, immer in der Gefahr, selber in die Falle des Bösen zu tappen.

Ein zweites Dilemma: die Konzentration auf das Böse der anderen schwächt unsere Aufmerksamkeit auf die teilweise finsteren Schattenseiten unseres eigenen Tuns.

Verbote, Unterdrückung, „Aushungern“, Isolieren, oder gar physisch Schädigen und Vernichten führen sehr häufig zum Gegenteil:

(a) Wir werden selber zu Bösen, indem wir diese Mittel einsetzen – zumindest in den Augen des zunächst vielleicht neutralen Umfeldes jener Bösen, die wir bekämpfen, und nicht selten in den Augen der Nachwelt, die mit einigem Abstand differenzierter zu sehen in der Lage ist.

(b) Wir verhärten damit die Gegenseite, befördern und stärken ungewollt die Loyalität ihres Umfeldes und machen sie dadurch stärker.

3. Welche Mittel bleiben uns also?

Es ist der selbstkritische Dialog mit den Bösen.

Das bedeutet:

- Das Gespräch suchen, wo immer es physisch möglich ist.

- Die Gegenseite einbinden in gemeinsame Strukturen.

- Der Gegenseite Achtung und Wohlwollen entgegenbringen, ohne ein Hehl daraus zu machen, was wir falsch, bedrohlich, gefährlich finden an dem was sie vertritt oder tut.

- Versuchen, der Gegenseite ein Verständnis dafür zu ermöglichen, warum wir an dem festhalten, was sie für verächtlich oder schädlich hält.

- Das wird nur gelingen, indem wir eine fundamentale Unterscheidung berücksichtigen, wirklich verinnerlichen, die Gandhi getroffen hat: selbst beim ärgsten Bösewicht zu unterscheiden zwischen seinen Taten und seiner Person.

Gandhi hatte den großen Vorteil gegenüber uns Westlern, dass der Hinduismus, aus dem er kam, davon ausgeht, dass in jedem Menschen, also auch dem Bösewicht oder dem psychisch Abartigen, ein göttlicher Kern steckt, also etwas unerhört Gutes, ein Kern, der durch nichts zerstört werden kann. (Der moslemfeindliche Hindu, der ihn ermordet hat, hatte diese Lehre nicht begriffen.)

Das bedeutet:

· niemals den Menschen zu bekämpfen, der Unrecht tut, auch nicht indirekt. Im Gegenteil, ihn freundlich zu empfangen, wohlwollend mit ihm zu sprechen. Gandhi spricht einmal vom „Verlangen, dem Gegner Gutes zu tun“ – jenseits des Wunsches, ihn zu „bekehren“.

· nicht den Menschen bekämpfen, sondern seine Taten. Den Dialog suchen, wo immer es geht. Versuchen, den Gegner zu überzeugen, ohne ihn zu zwingen. Versuchen, ihn für einen probeweisen Standpunktwechsel zu gewinnen - notfalls durch Verweigerung der Mitwirkung an dem, was er für richtig, wichtig und geboten hält.



II. Zehn Thesen

1. Wir können uns die Gegenseite für unsere Dialogbereitschaft nicht aussuchen. Wenn wir den Maximen der Gewaltfreiheit folgen wollen, müssen wir den Dialog im oben umrissenen Sinne auch oder gerade dort aufnehmen, wo er besonders schwierig, vielleicht sogar riskant ist.

2. Das muss man vorher trainieren – wie fast alles im Leben.

3. Je weniger Wahrnehmung, Wertschätzung und Wohlwohlen die Vertreter der Gegenseite oder ihre Kinder und Enkel als Menschen erfahren, desto rabiater, brutaler und unversöhnlicher werden sie eines Tages agieren.

4. Um dem Menschen auf der Gegenseite ehrlich wohlwollend begegnen zu können, muss man sich vorher sehr genau informieren – auch, aber nicht nur, über das, was er Schlechtes tut oder im Schilde führen könnte.

5. Der Dialog muss mit der inneren Kraft und Beharrlichkeit geführt werden, die sich zum einen aus der Bereitschaft ergibt, eigene Schwächen, Fehlwahrnehmungen und Fehler jederzeit einzugestehen und dafür Buße zu leisten; zum anderen aus der Entschiedenheit, an dem, was man als Wahrheit erkannt hat, festzuhalten, selbst dann, wenn sich daraus vorübergehend Nachteile ergeben.

6. Das bedeutet auch: der Gegenseite grundsätzlich zuzugestehen, dass sie in dem einen oder Punkt Recht haben könnte.

7. Dialog zielt auf Klärung, aber auch auf Kompromiss ab.

8. Auf Dialog zu setzen, erfordert Geduld. Nur selten genügt ein Gespräch, um einen Missstand zu beseitigen. Der Helsinki-Prozess hat viele Jahre gedauert. Aber dieser große Aufwand hat Früchte getragen. Die Anstrengungen des sog. Tunesischen Quartetts zwischen 2011 und 2014 haben einen Bürgerkrieg verhindert, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen.[1]

9. Fast überall dort, wo der Dialog nicht oder nur halbherzig geführt worden ist, kam es am Ende zu Krieg und Zerstörung: Im Irak fehlte der Dialog zwischen Schiiten und Sunniten, nachdem die Schiiten die Macht übernommen haben. Ebenso in Syrien vor Beginn des Bürgerkriegs und im Jemen.

10. Die Chancen des Dialogs stehen besser, wenn einem selbst und dem Gegner keine Waffen zur Verfügung stehen. Daher sollten die Waffengesetze in Österreich verschärft und der Rüstungsexport aus Österreich vollständig beendet werden.

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III. Konsequenzen für Linz

Das alles bedeutet für Linz, um ein hart umstrittenes Beispiel zu wählen: Den Dialog auch und gerade mit den Grauen Wölfen oder ihrer Vorfeldorganisation Avrasia zu wagen. Dabei gilt jedoch: unsere Wahrheit, unsere durch zwei Weltkriege bitter gewonnene Einsicht, dass Nationalismus zur Verrohung und Brutalität führt, wie Franz Grillparzer schon im 19. Jahrhundert hellsichtig erkannt hat, darf nicht übergangen werden. Wir müssen in einem solchen Dialog mit allem Ernst und aller Klarheit darauf bestehen.

Man kann einwenden, dass das alles in diesem Fall nicht gelte, weil bekannt ist, dass die Avrasia solche Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen versucht. Dem ist die Erfahrung entgegenzusetzen, dass es solche Versuche, einen Dialog zum eigenen Vorteil auszunutzen, sehr häufig gibt. Entscheidend ist, dass man sich selbst von dieser Versuchung reinigt, dann den anderen ehrlich mit dieser Wahrnehmung konfrontiert, wenn man konkrete Anhaltspunkte dafür hat; und trotzdem auch in einem solchen Gegner den Menschen ehrt, den „göttlichen Funken“, der auch in ihm steckt, ihm also menschlich und freundlich-interessiert begegnet und nach Wegen sucht, die den Kontakt vertiefen, aber eine einseitige politische Instrumentierung eines solchen Kontakts ausschließen.

Ich plädiere im Lichte dieser Überlegungen dafür, das Gespräch mit der Avrasia wieder aufzunehmen. Vielleicht zunächst einmal von unten, um so den Boden dafür zu bereiten, dass der Dialog auch auf höherer politischer Ebene (wieder) aufgenommen werden kann. Es war sicher nötig, nach der Verhöhnung der Opfer de KZ Mauthausen ein deutliches Signal zu setzen.

Vielleicht ist bei den ersten Versuchen in dieser Richtung, die von Bürgermeister Luger und von Prof. Franz Leidenmühler unternommen wurden, über dem zweifellos schwierigen Versuch, überhaupt in einen menschlichen Kontakt mit dieser Gruppierung zu kommen, der ernsthafte Dialog über die Zielsetzungen der „Grauen Wölfe“ und die Zielsetzungen einer demokratischen Gesellschaft noch gar nicht recht in Gang gekommen. Das sollte in einem zweiten Anlauf unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze versucht werden.


[1] Siehe Reiner Steinweg (ed.), Successful Prevention of War and Cvil War / Gelungene Kriegs- und Bürgerkriegsprävention. 15 Beispiele (englisch - deutsch - französisch), Berlin: Forum Crisis Prevention 2017